Vom Privileg trotz Reisebeschränkungen und geschlossener Grenzen "reisen" zu können.
Das Dokument zum Selbstausdrucken als Eintrittskarte nach Belgien und Frankreich
Die Sorgen waren groß im März, als Corona über Europa kam und die grausamen Bilder aus Italien und Frankreich um die Welt gingen und in unsere Wohnzimmer gelangten. Neben dem Mitgefühl mit unseren Nachbarn, umtrieb mich auch die Sorge um die Gesundheit der eigenen Familie. Irgendwann viel später kam dann auch die Frage auf, was nun mit meinem kleinen Geschäft wird. Gerade weil die Region Grand Est in Frankreich zur tiefroten Zone erklärt wurde. Die Champagne liegt ganz im Westen dieser Region, die sich von Belgien bis hinunter ans Dreiländereck bei Basel zieht. Auch wenn das "Epizentrum" der Epidemie weiter östlich um Straßburg herum lag, wurde "Grand Est" in jeder Hinsicht geschlossen. Während ich mit vielen Freunden in Italien Kontakt gehalten hatte und wusste, dass es ihnen allen gut ging, hatte ich Vorstellungen davon, wie sehr es den Betreiber der Fabrik Leban und seine Familie und Mitarbeiter getroffen hatte.
Mails blieben unbeantwortet
Meine Anfragen per E-Mail wurden nicht beantwortet. Irgendwann kam dann die Antwort über eine Textnachricht auf meine Mobil-Telefon. Allen ginge es gut. Die ländliche Gegend sei kaum betroffen. Der Betrieb sei aber auf unbestimmte Zeit geschlossen.
Das war erst einmal die Hauptsache, denn ich hatte noch genügend Ware auf Lager und das Geschäft stand ohnehin still. Während einige Konsumgüter sich reger - und nicht immer rationaler - Nachfrage erfreuten, war das Rüttelbrett vorübergehend nicht sehr hoch priorisiert bei den Konsumenten. Dafür hatte ich natürlich Verständnis, denn so ein exklusives Weinregal ist dann am Ende des Tages eher ein Luxusgut von vergleichsweise geringer Systemrelevanz.
Wochen später kam dann endlich die Teilentwarnung, dass die Fabrik zwar wieder produzieren dürfe, aber noch keine Käufer in Empfang nehmen könne. Inzwischen machten sich die ersten Engpässe bemerkbar und ich hatte von verschiedenen Rüttelbrettern nur noch eine ganz geringe Anzahl. Also machte ich ein paar Bestellungen, die ich abholen wollte, sobald dies möglich war. Irgendwann nach ein paar Wochen war die Bestellung gefertigt und es durften auch wieder Kunden in die Fabrik kommen. Die für jedermann zugänglichen Internetseiten hatte ich inzwischen gefunden, auf denen man ein paar Fragen ankreuzt und sich das Dokument zur Einreise nach Belgien und Frankreich selber ausdrucken kann. Es war etwas merkwürdig, dass man weder Gewerbeschein noch sonstige Nachweise mit sich führen musste. Ich packte einfach alles zusammen und machte mich dann endlich auf die Reise. Zum ersten Mal nach einer ungewollt um 2 Monate verlängerten Winter-Pause von inzwischen einem halben Jahr.
Kontrollen nur in Belgien
Etwas aufgeregt war ich schon, denn ich hatte Bedenken, dass den Grenz-Beamten meine "Dienstreise" in Zweifel stellten und ich irgendetwas nicht beachtet oder vergessen hatte. Umso unaufgeregter verlief die erste Grenzkontrolle nach einer knappen Stunde an der Grenze nach Belgien. Ein flüchtiger Blick auf den Stapel an größtenteils nicht erforderlichen Dokumente, ein kurzes "C`est bien!" und eine knappe Winkende Bewegung. Das war es schon. Bei der zweiten Abhol-Tour war man übrigens schon etwas genauer. Zwei Wochen später wollte der Beamte meinen Ausweis sehen und glich den Namen mit dem auf dem Dokument ab. Das Dokument, das man selbst ausfüllt wohlgemerkt. Irgendwie schien mir das ganze nicht ganz durchdacht und mit etwas "Dreistigkeit" und einem entspannten Verhältnis zu Regeln hätte wohl jeder nach Belgien oder Frankreich reisen können. Besonders daher, da es bei allen Touren bei dieser einen Kontrolle blieb. Weder nach Frankreich, zwischen Frankreich und Belgien und auch später nicht im (angeblich) abgeriegelten Luxemburg wurde kontrolliert, wo ich mich bei den Touren immer gerne mit einem kleinen Nachschub an Tabakwaren eindecke und das Auto betanke.
Dankbarkeit für dieses Privileg
Diese Tour – unfreiwillig die erste seit einem halben Jahr – fühlte sich an wie ein Tag Urlaub. Urlaub in Zeiten, in denen man keinen Urlaub machen durfte. Ein Ende der Reisebeschränkungen lag am 7.5. noch in weiter Ferne.
Ein Teil der Strecke verläuft günstigerweise abseits von Autobahnen und macht jede dieser Fahrten kurzweilig und angenehm. Außerdem gibt es angesichts der Vielfalt an schönen Gebäuden und der wechselnden Natur immer etwas zu entdecken. Ich war vom ersten bis zum letzten Augenblick dankbar für das Privileg und genoss Landschaft und das gute Wetter. Noch mehr als bei den üblichen Fahrten; weil es sich wie ein Neuanfang anfühlte und eine gewisse Selbstverständlichkeit verloren hatte.
Eine entspannte Fahrt und viel Normalität in nicht ganz normalen Zeiten
Auf der Fahrt hörte ich wie immer ein spannendes Hörbuch und freute mich schon seit den ersten von knapp 800 Kilometern auf ein paar Köstlichkeiten, die ich mir traditionell beim ersten Stopp im kleinen Ort Louveigné gönne: In der Boulangerie „Maréchal“ gibt es Brote, Kuchen, belegte Baguette, und alles ist hausgemacht und unglaublich lecker. Erst kürzlich habe ich erfahren, dass die Boulangerie seit ein paar Jahren von einem jungen deutschen Paar geführt wird. Aber nicht dieser Umstand, sondern die Qualität und der Geschmack der Backwaren sollten jeden veranlassen, einmal einen Besuch zu machen, wenn man in der Nähe ist. Ich kann es wärmstens empfehlen. Meine Favoriten sind die traditionellen Reis-Törtchen, Mini Pudding-Windbeutel und das Baguette „Dagobert“, ein Klassiker in dieser Region.
Die Fahrt durch die Champagne verläuft größtenteils über Dörfer und Felder. Es gibt überall die Möglichkeit kurz anzuhalten und bei einem Winzer Champagner zu kaufen. Trotz der Ausgangsbeschränkungen für Franzosen, die menschenleere Straßen zur Folge hatten, merkte man der Region die Besonderheit der Zeit nicht an. In den größeren Städten mag das sicher anders ausgesehen haben, als in Dörfern, in denen grundsätzlich nicht so viele Menschen unterwegs sind.
Auf dem Rückweg machte ich wie immer einen kurzen Stopp in Bohey, Luxemburg. Mit allerlei lasterhaftem Gepäck (neben den angesprochenen Zigaretten auch immer mal ein paar leckere Brau-Spezialitäten) ging es dann nach einem entspannten Tag auf dem letzten Teil der Reise nach Frechen zurück. Einer Reise, die für ein Gefühl von Normalität sorgte in einer nicht ganz normalen Zeit.
Folgend paar Bilder der ersten Touren in Zeiten von Corona:
Ich hoffe, Ihnen hat der kleine Tour-Bericht gefallen.
Liebe Grüße - und bleiben Sie alle gesund
Michael